Schon bei der Gründung des Peter-Weiss-Hauses vor über 10 Jahren war allen Beteiligten klar, dass mit der Namensgebung kein Wallfahrtsort zur Huldigung einer Person begründet werden sollte. Es interessierten die Hintergründe und Anknüpfungspunkte. Damals nahm das Gründungsteam Kontakt zur Frau von Peter Weiss auf und unterhält seitdem eine lose aber herzliche Verbindung. Gunilla Palmstierna-Weiss ist die Witwe von Peter Weiss.
Verglichen mit seiner Bekanntheit, wurde sie in Deutschland wenig beachtet. Ganz anders in Schweden, wo ihre Autobiografie ‚Minnets spelplats‘ monatelang ein Bestseller war. Das Buch macht schnell klar, dass es Peter Weiss’ Wirken und sein Werk ohne Gunilla nie gegeben hätte. Er lässt sich nur im Verhältnis zu ihr und den sich bildenden politischen und künstlerischen Aufbruchsmilieus seiner Zeit ergründen. In der deutschen Beschäftigung mit Peter Weiss wurde dies oft eher als Randnotiz wahrgenommen.
Eine Anekdote, die das Wesen von Gunilla Palmstierna-Weiss anschaulich verdeutlicht: Ein deutscher Filmemacher bat sie vor einigen Jahren in einer Dokumentarreihe mitzuwirken.
Die Reihe hatte den Arbeitstitel „Die Frauen im Schatten des Mannes“. Sie lehnte ab, was im Hinblick auf ihr Leben und Werk nicht verwundert: Gunilla ist Ehrenmitglied der ältesten feministischen Vereinigung Schwedens und eine bemerkenswerte, emanzipierte und kämpferische Künstlerin. Das hat auch mit der schwedischen Gesellschaft zu tun, die der deutschen in Fragen der Emanzipation weit voraus ist.
Gunilla war den Kreisen und Personen verbunden, die emanzipierten Lebensweisen Durchbruch und Akzeptanz verschafften. Alles war politisch und in einem sich gegenseitig verstärkenden Verhältnis von künstlerischen Aufbrüchen verwoben. Gunilla und Peter waren Teil dessen und wirkten darin gestaltend mit.
Gunilla wurde 1928 in Lausanne, also im französischsprachigen Teil der Schweiz, geboren. Die Familiengeschichte prägte sie mit: die Palmstiernas waren eine adlige, in ganz Europa verstreute jüdische Familie, aus der u. a. ihr Großvater als erster sozialdemokratischer Außenminister und späterer Botschafter in Großbritannien hervorging (was in der großbürgerlichen Familie durchaus ein Affront war). Die Mutter studierte Medizin, Chemie und auch Psychoanalyse als Schülerin von Sigmund Freud. Gunilla und ihr Bruder wuchsen von den Eltern getrennt in Internaten auf. Dabei wechselte der Lebensmittelpunkt von Frankreich, Österreich und der Niederlande nach Deutschland. Die Zeit war durch den 2. Weltkrieg geprägt. So erlebte Gunilla nach der Scheidung ihrer Eltern gemeinsam mit ihrer Mutter die Bombardierung des besetzten Rotterdams und konnte in einem der letzten Flugzeuge aus dem zerstörten Berlin nach Schweden fliehen. Nach ihrem Kunststudium und der Ausbildung zur Keramikerin/Bildhauerin ließ sie sich in Schweden nieder und arbeitete und lebte in einer Künstlerinnenkolonie im Süden Stockholms.
Dort begegnete sie mit 24 Jahren, als alleinerziehende Mutter ihres zweijährigen Sohnes, Peter Weiss. Gunilla erinnert sich, dass Peter sich ihr eher verächtlich näherte. Angesichts ihres adligen Namens unterstellte er ihr schnippisch ein behütetes und verwöhntes Leben.
Doch trotz dieser Voreingenommenheit beeindruckte ihn Gunillas Schlagfertigkeit und Bildung und es kam zu Gesprächen über Surrealismus und Psychoanalyse. Peter prophezeite bei ihrer ersten Begegnung: „Wenn wir je ein Kind haben sollten, so soll es Nadja heißen“. Es dauerte knapp 20 Jahre bis Gunilla ihre gemeinsame Tochter Nadja zur Welt brachte. Nach dieser Begegnung wurden Gunilla und Peter ein Paar, sowohl im Privaten als auch im Künstlerischen. Sie arbeiteten gemeinsam an ihren Projekten. Die gegenseitigen Einflüsse sind in all ihren Arbeiten sichtbar. Peter Weiss, der in vielen Jahren als Künstler nicht die Anerkennung und damit wohl auch nicht die Mittel hatte, die er sich wünschte, lebte von den Aufträgen, die Gunilla als Keramikerin erhielt. Gunilla betont, dass die Frage danach, wer das Geld verdiente, für sie nie von Belang war.
Der gemeinsame Austausch und die Zusammenarbeit war in der Beziehung mit Peter elementar und hielt die beiden trotz der häufigen Seitensprünge Peters zusammen. Peter Weiss’ Erfolg kam mit der 1960 beim Suhrkamp Verlag veröffentlichten Erzählung Der Schatten des Körpers des Kutschers. Peter war damals schon 44 Jahre alt. Er lebte fast 15 Jahre in Schweden und versuchte hier vor allem als Maler und Filmemacher Fuß zu fassen. Nun kam aus Deutschland, dem Land, mit dem er seit mehr als 30 Jahren wenig Kontakt gehabt hatte, der Erfolg quasi über Nacht. Es folgten Einladungen, denen Peter nur zögerlich nachkam und auf die er als Schriftsteller doch angewiesen war.
Auch Gunilla veränderte in dieser Zeit ihre Ausrichtung. Szenografie, Bühnenbild, Licht und Kostüm wurden zu ihrem neuen Arbeitsfeld. Ihre beeindruckende Arbeit an großen Wandreliefs aus gestalteten Keramikplatten fand eine Ende. Doch künstlerisch arbeiteten beide auch weiterhin eng zusammen. So hatten sie eigene Ateliers, die sich unmittelbar nebeneinander befanden. Die Zusammenarbeit intensivierte sich sogar, da Gunilla nun häufig auch an Inszenierungen von Peters Theaterstücken als Bühnenbildnerin mitwirkte. So auch bei der Aufführung des Stückes Marat/Sade.
Inmitten des Aufbegehrens der Student*innen der späten 60er löste das Stück Debatten aus, deren Wirkung sich nicht auf den Zuschauerraum begrenzten. Peter wurde damit zum Künstler mit politisch intervenierendem Geschick. Gunilla recherchierte für das Stück umfangreich in Pariser Archiven, weil Peter kein Französisch verstand. Außerdem entwarf sie für die Uraufführung im Schillertheater Berlin das Bühnenbild. Anders als in Schweden, war das in Deutschland völlig unüblich. Bühnenbild war hier noch Männersache. Doch Gunilla und Peter protestierten als im Programmheft zum Stück das Bühnenbild Peter Weiss zugeschrieben wurde. Gunilla setzte sich hier ebenso wie in späteren Jahren beeindruckend gegenüber der patriarchalen Gesellschaft durch. Nicht nur an Peters Seite, sondern vor allem auch in Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Ingmar Bergman, erarbeite sie sich mit ihrem architektonisch von ‚Bauhaus‘ und ‚De Stijl‘ beeinflussten Ansatz international Beachtung. So erhielt sie u. a. für ihre Kostümentwürfe den renommierten Tony-Award für die Peter Brook Inszenierung von Marat/Sade (1967).
Sowohl Gunilla als auch Peter verstanden es, auch in den folgenden Jahren ihren Erfolg und die damit verbundene Aufmerksamkeit zu nutzen, um politisch zu intervenieren. Seit dem Tod von Peter Weiss kümmerte sich Gunilla zusammen mit ihren Kindern Mikael und Nadja um das Werk ihres Mannes. Dabei ist es ihr Wunsch, dass nicht nur die bekannt gemachten Stücke und Romane Beachtung finden. Auch die Malerei (leider wurde ein Großteil der Bilder 2006 gestohlen und nur ein Bruchteil ist im letzten Jahr wieder aufgetaucht) und die Filme Peter Weiss’ sind bedeutsam. Und nach diesem Artikel sollte wohl auch klar sein, wie bedeutsam die Beziehung Gunillas Palmstierna-Weiss und Peter Weiss als eines der „bedeutendsten Künstlerpaare des 20. Jahrhunderts“ (Arnd Beise) war.