Friedrich Hölderlin (1770-1843) ist ein enigmatischer Schriftsteller: Sein Werk lässt sich weder eindeutig in die Klassik noch in die Romantik einordnen, die Sprache ist von mythisch-mystischer Durchdrungenheit und in seiner Weise einzigartig. Bis heute gilt Hölderlin als einer der wichtigsten Lyriker seiner Zeit. Sein Leben war gezeichnet von einer psychischen Krankheit, die bis heute nicht klar benannt werden kann und welche seinen Ruf eines seraphischen Ausnahmedichters nicht unwesentlich begründet. Mit 36 Jahren in der Uniklinik Tübingen zwangsbehandelt und 1807 als unheilbar tituliert, kommt er in der Familie von Ernst Zimmer unter, Tischler und Bewunderer Hölderlins, und lebt bis zu seinem Tod in einem kleinen Zimmer im Turm der Familie, welche ihn pflegt. Heute ist dieser Turm als „Hölderlinturm“ bekannt und erhalten.
Peter Weiss, der im Juni 1970, vermutlich aufgrund zermürbender Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund seines Stückes Trotzki im Exil, einen Herzinfarkt erleidet, erinnert sich daran, dass er als Zwölfjähriger beim Besuch seiner Tante in Tübingen den Hölderlinturm selbst täglich betrachtete.
Bei der Recherche zu Hölderlin wird er vor allem beeinflusst durch die Biographie von Pierre Bertaux, der Hölderlin „als revolutionären Dichter, der seinen Idealen trotz aller subjektiven Enttäuschungen und objektiven Widerstände treu blieb“ beschreibt. Peter Weiss sieht Parallelen zu seiner eigenen Situation und zieht daraus den Stoff für ein Theaterstück über den Dichter. Im Stück Hölderlin, welches 1971 in Stuttgart uraufgeführt und später als wichtigstes Stück der Spielzeit bezeichnet wird, verbindet Weiss in seiner typischen Art das Historische mit dem Aktuellem. Wie im Theaterstück Marat/Sade ist der Titelheld Hölderlin ein gescheiterter Revolutionär. Hölderlin, der trotz der Widerstände zu seinen Übersetzungen steht und in letzter Konsequenz im Rückzug im Turm endet, sieht sich den Figuren Hegel und Fichte gegenübergestellt, welche am unlösbaren Widerspruch zwischen Theorie und Praxis scheitern. Peter Weiss’ eigene Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und politischen Hindernissen spiegelt sich im Stück wider.
Und die zentrale Frage des Stücks scheint auch heute noch genauso aktuell wie zu Hölderlins und Weiss’ Lebzeiten.
Wie verhält sich ein Mensch, der sehr stark an seiner eigenen Zeit teilnimmt, gegenüber den gesellschaftlichen Veränderungen? Wie wird er fertig mit den Problemen, löst er sie oder zerbricht er daran?